50/50

Eigentlich möchte ich viel öfter meine Gedanken zu Papier bringen. Aber ich bin gerade beruflich wie auch privat ziemlich beschäftigt und schaffe es daher nicht immer. Das hat Vor- und Nachteile. Da ich so beschäftigt bin, komme ich nicht wirklich zum Nachdenken und bin abgelenkt. Ich bin mittlerweile ziemlich gut darin, meinen innerlichen Konflikt in die hinterste Ecke meines Herzen zu verdrängen. Das ist bei weitem keine Lösung! Großer Nachteile dieser Verdrängungsstrategie ist, dass, wenn die Gedanken, Gefühle, Ängste, Wünsche und Sehnsüchte wieder hochkommen, stärker sind, als zu vor. Eines weiß ich mittlerweile aber ganz genau! Ich schaffe es heute nicht mehr, auf die Frage „Ist Homosexualität Sünde?“ mit einem deutlichen „Ja, aber natürlich!“ zu antworten. Diese Schwarz-Weiß Sicht lässt eine solch existenzielle Frage einfach nicht zu – zumindest nicht (mehr) für mich. Ich bin betroffen und empfinde homosexuell. Das ist so. Ich habe mir meine Gefühle nicht ausgesucht und sie sind ein Teil von mir.

Wie schwer ist es, sich täglich selbst aufgrund seiner sexuellen Orientierung zu verurteilen?

Diese Anspannung wünsche ich wirklich keinem. Allerdings kann ich die oben genannte Frage auch nicht klar verneinen. Ich stehe mittlerweile genau in der Mitte. 50/50. Auch das kann kein Dauerzustand sein. Aber wenn ich überlege, wie ich noch vor einem Jahr über das Thema Homosexualität & Christsein dachte, hat sich einiges getan. Oder wie ich vor über 4 Jahren noch der Überzeugung war, ich wäre der einzige Christ, der homosexuell empfindet! Ich bin so froh, dass mein Blog genau das macht, was er soll. Er bringt mich und andere Christen zusammen und schafft eine Plattform, um sich auszutauschen. Mittlerweile habe ich einige Kontakte knüpfen können und Menschen kennen gelernt, denen es genauso wie mir ergeht. Jeder hat seine ganz eigene Geschichte und doch ist das Problem immer das Gleiche. Glaube und Homosexualität passen nicht zusammen. Aber ist es wirklich ein Problem? Ich bin mir besonders nach meinen Gesprächen mit Marcel nicht mehr sicher. Ich durfte das Buch „Streitfall Liebe“ von Valeria Hinck lesen und habe das erste Mal mögliche Antworten auf Fragen gefunden, die sich mir schon so lange stellen. Auf den ersten Blick sprechen sich die bekannten Bibelstellen, die Homosexualität tangieren oder thematisieren, konkret gegen diese Lebensform aus. Aber ist es wirklich gerechtfertigt, sich so schnell ein Urteil zu bilden? Wie viele andere Bibelstellen werden heute nicht mehr wörtlich sondern kontextbezogen ausgelegt. „Streitfall Liebe“ wirft ein neues Licht auf die vermeintlich klaren Aussagen. Mich persönlich hat dieses Buch sehr ins Nachdenken gebracht. In einem meiner nächsten Beiträge möchte ich näher darauf eingehen und einige Sichtweisen von Valeria aufgreifen.

Vor einer Woche haben mich meine Eltern besucht. Wir hatten einen echt schönen Tag zusammen. Abends haben wir über meine Situation gesprochen und ich konnte meinen Eltern erzählen, wie es mir gerade geht. Es tat gut, offen mit ihnen zu reden. Auch ihnen habe ich von meinem 50/50 Zustand erzählt und gesagt, dass ich im Moment genau zwischen Befürworten und Verurteilen stehe. Meine Eltern sind weiter für mich da und begleiten mich im Gebet. Mein Vater hat mir nochmals gesagt, dass sie Homosexualität als keine vor Gott bestehende Lebensweise verstehen. Auch sagte es mir, dass ich mir, falls ich mich für ein solches Leben entscheide, der Folgen und Auswirkungen bewusst sein muss. Ob es nach einem öffentlichen Coming-Out einfach wird, ist seiner Meinung nach fraglich. Und das weiß ich auch. Wie würde mein christliches Umfeld reagieren, wenn ich mich als schwul outen würde? Überwiegend negativ – da bin ich mir relativ sicher. Meine Mum hat bei dem Gespräch wenig gesagt, aber ich weiß, dass sie die Überzeugung meines Vaters teilt. Beide lieben mich und ich werde ihr Sohn bleiben, egal wofür ich mich entscheide. Das haben sie auch nochmals betont. Doch falls ich mich für ein homosexuelles Leben entscheiden würde, wäre alles anders. Das ist meinen Eltern und mir bewusst.

Wie geht es nun weiter? Ich habe bald ein Gespräch mit meinem Pastor und werde ihn auf den aktuellen Stand bringen. Wir möchten zusammen nach „Wüstenstrom“ fahren und ein Beratungsangebot wahrnehmen. Ich halte euch auf dem Laufenden.

Es gibt 6 Kommentare.

  1. Hallo Marc!
    Ich finde deine ehrlichen Worte wohltuend.
    Glaube und Homosexualität passen nicht zusammen?Nun,erst einmal nur für Konservative Christen,aber da tut sich auch einiges,wie bei den Baptisten.
    Du schreibst:
    “ Wie würde mein christliches Umfeld reagieren, wenn ich mich als schwul outen würde? Überwiegend negativ – da bin ich mir relativ sicher. “
    Mag sein,das es überwiegend negativ ist.Musst du dich aber vor ihnen rechtfertigen?Wer weiß wie viele aus deiner Gemeinde dann plötzlich doch zu dir und deinen Gefühlen stehen?

    „Wie geht es nun weiter? Ich habe bald ein Gespräch mit meinem Pastor und werde ihn auf den aktuellen Stand bringen. Wir möchten zusammen nach “Wüstenstrom” fahren und ein Beratungsangebot wahrnehmen.=
    Mal eine Frage:Wie ist die Einstellung deines Pastors zu deinen Gefühlen?Voreingenommen oder Ablehnend,weil es so in der Bibel steht?
    Ich habe auch daran gedacht die Hilfe von „Wuestenstrom“ in Anspruch zu nehmen.Beim „Freundschaftsnetzwerk“ von „Wüstenstrom“ bekam ich nie eine Antwort.
    Bei „Wues und die sollte einem zu denken geben.tenstrom“ habe ich hartnäckig nach einer Antwort auf meine Nachfragen gefragt.
    Auf meine Frage wer denn nun Recht hätte,Befürworter oder Gegner von Homosexualität,kam folgende Antwort aus Tamm:
    „Wer recht hat, wie Sie in einer Email fragen, kann ich Ihnen nicht
    beantworten – sonst müsste ich ja sagen, dass Ich recht habe. “
    Diese Antwort eines Mitarbeiters von „Wuestenstrom“ sollte einem zu denken geben.
    Weißt du auch ,das eine Beratung Geld kostet?
    Man antwortete mir dieses:
    „Der Richtsatz beträgt für solche Gespräche 50 Euro pro 60 Minuten. Wer
    sich das nicht leisten kann, kann aber immer auch invididuell einen
    passenden Satz vereinbaren. Dafür werden wir auch durch Spenden
    unterstützt. “
    Verstehe mich bitte nicht falsch,diese Aussagen reden aber für sich selber.

  2. Sollte heißen:
    „Bei “Wuestenstrom” habe ich hartnäckig nach einer Antwort auf meine Nachfragen gefragt.“

  3. Moin, lieber Marc,
    Du hast eine wunderbare Internetseite gestaltet, innerlich und äußerlich spricht sie mich sehr an. Anfangs schreibst Du, Du wüßtest nicht, ob überhaupt jemand diese Seite lesen würde. Ich vermute, es sind sehr, sehr viele.
    Es gibt einen Bericht in den Salzburger Nachrichten, in dem Pierre Stutz von seinem Coming Out erzählt. Ich finde den Artikel sehr bewegend. Er findet sich hier: http://www.salzburg.com/nachrichten/meinung/debatte/sn/artikel/gott-hat-mich-homosexuell-geschaffen-130804/
    Ich habe sehr, sehr lange gebraucht, bis ich mich so annehmen konnte, wie ich bin. Bis ich sagen konnte „es ist so“. Heute kann ich sagen, daß ich vor Gott und den Menschen zufrieden als schwuler Mann leben kann. Und auch als Mönch, denn ich lebe schon seit vielen Jahren in einer Ordensgemeinschaft. Als ich mich meinem Oberen gegenüber geoutet habe, sagte er zu mir: Gott liebt dich, wie du bist! Davon bin ich überzeugt. Doch weiß ich auch, daß ich das nicht alles an einem Tag verstanden, angenommen, akzeptiert habe. Es war ein Weg. Heute bin ich einfach dankbar, daß ich so bin, wie ich bin. Ich wollte kein anderer sein, als der ich BIN.
    Lieber Marc, Dir alles Gute und viel Segen für Deinen Weg.

    • In reply to Br. Christian

      Hallo Christian!

      Vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich wirklich sehr, dass mich mein Blog in Kontakt mit anderen Christen bringt, denen es genauso ergeht wie mir. Du bist bereits einen Schritt weiter und hast deinen Frieden mit deinen Gefühlen/deiner Sexualität und deinem Glauben gefunden – und das sogar als Mönch! Ich befinde mich gerade in einem Prozess und gehe kleine Schritte. Aber mit jedem Schritt geht es weiter. Wie ich im oberen Beitrag geschrieben habe, befinde ich mich im Moment genau in der Mitte. Ich besuche demnächst einen Zwischenraum Hauskreis, möchte aber auch ein Beratungsangebot von Wüstenstrom wahrnehmen. Ich will einfach beide „Seiten“ kennenlernen, um meine eigene Entscheidung fällen zu können. Dies wird sicherlich nicht innerhalb der nächsten Wochen oder Monate geschehen, aber langfristig muss und werde ich auch eine abschließende Meinung bzw. Überzeugung zum Thema Christsein und Homosexualität finden. Ich wünsche dir alles Gute und Segen für deinen Dienst. Werde mir den Artikel mal durchlesen :)

      Bis dahin,
      Marc

      • In reply to Marc

        Was „Wüstenstrom“ betrifft wäre ich sehr vorsichtig. Die bieten eine sogenannte „Konversionstherapie“ an. Die Kritik dazu findest Du mit google sehr schnell (z.B. Wikipedia zu „Konversionstherapie“). Fakt ist, dass inzwischen in den USA eine große ehemalige „Homo-Heiler-Bewegung“, die Konversionstherapien anbot, sich aufgelöst hat und deren Vorsitzender sich öffentlich für dieses Angebot entschuldigt hat. Eine Form von „Umkehr“, die m.E. sehr dem entspricht, was Jesus wollte.
        Biblisch argumentieren und die Bibel lesen ist gut – aber immer auch mit dem Wissen darum, dass wir nicht an ein „heiliges Buch“, sondern an den menschgewordenen Gott Jesus Christus glauben. Nachfolge bezieht sich primär auf Jesus Christus und eben nicht auf den Buchstaben. Paulus sagte: Der Buchstabe ist tod. Der Geist macht lebendig. D.h. wir sind immer neu eingeladen, die Bibel im Geiste Jesu bzw. im Heiligen Geist zu lesen. Das bedeutet zum Beispiel konkret: Selbst viele evangelikale Christen würden doch heute ihr Kind bei Epilepsie nicht zum Dämonen austreiben schicken, sondern zum Neurologen – auch wenn Jesus beim epileptischen Kind Dämonen austrieb. Nicht, weil das alles kritisiert werden soll, sondern weil sich einfach das medizinische Wissen und die Art, wie Mediziner helfen, seit 2000 Jahren verändert hat. Das gilt auch für unser Verständnis von Homosexualität. Wir können nicht einfach so tun, als ob sich das Verständnis von Homosexualität (und Transsexualität) nicht in den letzten 2000 Jahren nicht ebenfalls massiv verändert hat. Dadurch sind wir nicht weniger oder mehr NachfolgerInnen Jesu als die ersten Christen – auch die stellten ja schon die Frage: Was vom alten Testament gilt eigentlich im Blick auf die Heidenmission weiter und was nicht. Unter dem Stichwort „Apostelkonzil“ findest Du die Antwort in der Bibel bzw. via google Suche auch im Web…

  4. Lieber Marc,

    Ich bin heute nochmal über deinen Beitrag hier gestolpert und bin ein wenig besorgt um dich. Du machst dir wirklich unglaublich viele Gedanken und Sorgen um deinen Weg und deine Zukunft, das Verhältnis zu deiner Familie und deinen Mitchristen. Das ist auch gut, aber dieses Verhältnis sollte nicht gestört sein, wenn sich deine Gefühlslage ändert oder du für dich entdeckst, dass du dich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlst. Dadurch wirst du nicht zu einem anderen Menschen, nein, du bleibst auch in diesem Fall DU und diese Tatsache sollten andere nicht dazu nutzen, das Verhältnis zu dir zu überdenken. Sie sollten dir auch nicht irgendwelche Therapieangebote unterbreiten, von denen sie selbst nicht wissen, was sie mit einem machen können. Marc, hast du vielleicht den Beitrag in worthaus.org gesehen/gehört, in dem es um Homosexualität und die Bibel geht? Er ist es wert, dass ihn viele Leute aus unseren christlichen Kreisen sehen. Ja sie sollten ihn unbedingt sehen und aufhören, anderen das Leben anderer zu verurteilen, um ihr eigenes Weltbild aufrecht erhalten zu können. Und wenn es nur ein Beratungsgespräch ist, das man mal vielleicht machen kann? Nein, Marc, wenn es nicht dein eigener Wille ist und du nicht unendlich unter deiner Situation leidest, hast du nichts verloren bei Wüstenstrom und Co. Lass dir nicht einreden, dass du nicht Gottes Lebensentwurf entsprichst. Es muss irgendwann mal Schluss sein mit den vielen falschen Vermutungen, Fehlinterpretationen und Falschdeutungen der Bibel. Sie ist kein moralisches Gesetzbuch und auch nicht die Erklärung der Welt, sie ist im AT die Geschichte Israels und beschreibt Gottes Verhältnis zu seinem Volk und weiterhin dürfen wir im NT von Jesu Kommen und Wirken erfahren und dass ER uns befreit hat von Gesetzen, die der Mensch nicht erfüllen kann. ER starb für deine und meine Sünden und wir dürfen durch seinen Tod und seine Auferstehung ein neues und erfüllendes Leben haben, das durch Liebe und Vergebung geprägt ist. Wieso sollte Homosexualität falsch oder Sünde sein? Wem tust du damit unrecht? Wem schadest du damit? Wer muss darunter leiden, wenn du liebst und geliebt wirst? Wo machst du dich selbst kaputt, wenn du ehrlich zu dir selbst bist und nicht versuchst, deine wahre und eigene Identität zu unterdrücken? Diese Fragen solltest du dir stellen…

    Bleibe im Gespräch, Marc und entdecke die Vielfalt, die Gott auch in der Natur und in uns Menschen hineingelegt hat. ER hat die Welt nicht schwarz-weiss geschaffen, sondern sehr sehr bunt und schön. Und das will ER dir zusprechen: Du bist schön und geliebt so wie DU bist!

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