Sandburg

Was hat sich zwischenzeitlich getan? Seit meinem letzten Beitrag ist über ein Monat vergangen – heute möchte euch auf den aktuellen Stand bringen.

Irgendwie hat sich nicht viel verändert – aber wenn ich ganz ehrlich bin, stimmt das so auch wieder nicht. Seitdem ich mich intensiv mit dem Thema Homosexualität und Christsein beschäftige, merke ich, dass sich etwas verändert. Ich hinterfrage meinen bisherigen Glauben und Überzeugungen, die für mich früher ganz selbstverständlich waren, bekommen Risse. Ist das gut? Ich weiß es nicht. Ich habe mittlerweile beide Seiten kennengelernt – Christen die Homosexualität ablehnen und jene, die sie akzeptieren. Und ich? Ich stehe zwischen beiden Parteien und kann sowohl die einen, als auch die anderen Argumente nachvollziehen. Was ist richtig, was ist falsch? Priorität in meinem Leben ist der Wille Gottes. Ich möchte mich nach ihm und seinen Vorstellungen richten. Doch ich merke, wie meine Beziehung zu Gott gestört ist. Im Inneren bin ich enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass mein Schöpfer mir eine solche Last auferlegt. Es mag egoistisch und unangemessen scheinen, aber es ist so. Ich verstehe Gott nicht! Warum stellt er mich in diesen Konflikt? Wem ist dadurch geholfen? Wenn Gott Homosexualität ablehnt, welchen Sinn hat es, dass er sie zulässt? Natürlich stellen auch andere Menschen die große „Warum lässt Gott das zu?“ Frage und bei Krankheiten, Unglücken und Katastrophen ist das auch nur mehr als verständlich. Doch mir fällt es einfach schwer, Gottes Plan für mein Leben zu verstehen. Ich bin verunsichert – weiß nicht, wohin ich gehen soll. Diese Ratlosigkeit hat Auswirkung auf meinen Glauben. Ich sitze im Gottesdienst und während der Prediger von Gottes Liebe erzählt, überlege ich, wie meine Gemeinde reagieren würde, wenn ich mich als schwul outen würde. Wen würde ich verlieren und wer stünde zu mir? Im Hauskreis fällt das Wort „Gemeindezucht“ und ich zucke innerlich zusammen. Mein Kopfkino läuft an: Ich sehe mich mit meinem Freund vor der Gemeinde stehen und die Türen ins Schloss fallen. Diese und andere Gedanken beschäftigen mich – sie beschäftigen mich so sehr, dass sie mich davon abhalten, im Glauben zu wachsen. Mir fällt es unglaublich schwer zu beten. Es erscheint mir so unnötig und nicht selten habe ich das Gefühl, dass meine gesprochenen Worte nur bis an die Zimmerdecke reichen. Man mag es als Glaubenskrise bezeichnen, als Wüstenwanderung oder Prüfung. Wie auch immer:

Ich lebe mein Leben und sehe meinen Glauben langsam zerbröseln. Eine große Sandburg, die langsam in sich zusammenfällt.

Lustigerweise fällt mir gerade jetzt ein altes Sonntagsschullied ein: „Der Kluge baut sein Haus auf Felsengrund“. Auf welchem Grund steht mein Glaube? Tief in meinem Herzen, weiß ich, dass Gott mich liebt. Ich weiß, dass sein Sohn Jesus Christus für meine Schuld gestorben ist und er mir ewiges Leben schenkt. Doch was ich nicht weiß, ist, wie ich mein Leben leben soll. Ich schreibe bewusst nicht will. Denn momentan wünsche ich mir eine Beziehung zu einem Mann. Das ist mein Wunsch. Aber geht es um meinen Willen? Vielmehr geht es doch darum, was Gott von mir möchte. Welchen anderen Sinn hat mein Leben, als meinem Schöpfer Ehre zu bringen? Und genau das möchte ich. Nicht mehr und nicht weniger. Ein unzufriedenes, einsames Leben kann ich mir (aber auch) nicht vorstellen. Und wieder kommt die Frage: Was soll ich tun?

Über meinen Blog habe ich Julian kennengelernt. Wir haben nun schon einige Male geskypt und er sagte letztens in etwa folgendes: „Ich bin ohnmächtig. Ich weiß auch nicht, was Gott mit mir vor hat. Ich empfinde homosexuell und an dieser Tatsache lässt sich im Moment nichts ändern – ob Gott meine Gefühle verändert, ist ihm überlassen. Das er dies tun könnte, zweifle ich nicht an. Aber momentan ist es so, wie es ist. Ich kann Bücher zum Thema Homosexualität und Glaube lesen, Pro und Contra, dafür und dagegen. Ich kann Vorträgen zuhören, konservative und liberale Auslegungen der entsprechenden Bibelstellen zu Rate ziehen. Das alles bringt mich nicht weiter. Ich bin schwul und lege mein Leben in Gottes Hand. Er wird mich leiten.“

Wie ich schon in früheren Beiträgen geschrieben habe, bin ich wirklich froh, dass ich offen mit meinen Eltern reden kann. Sie beten für mich und stehen zu mir. Als ich ihnen von der oben beschriebenen „Glaubenssandburg“ erzählte, meinte mein Vater: „Du beschäftigst dich momentan so intensiv mit der ganzen Sache, dass du anderes vollkommen aus dem Blick verlierst. Vielleicht ist es gut, sich ganz neu auf Gott auszurichten. Entwickle eine bewusste Routine für dein Glaubensleben, die dich stärkt. Auch ich kann dir nicht sagen, warum du das gerade durchmachen musst. Aber Gott ist da – selbst in solch einer schwierigen Zeit.“

Das möchte ich nun tun.

Es gibt 6 Kommentare.

  1. Hallo,

    bevor ich anfange dir auf deinen Text zu antworten, möchte ich ersteinmal erwähnen, dass ich nicht getauft bin. Ich wurde atheistisch geboren und aufgezogen. Jedoch mit einer offenen Einstellung gegenüber der Vielfalt aller Menschen. Das, was ich bvn mir gebe, steht also nicht vor einem großen theologischen Hintergrund, sondern beleuchtet meine eigene, persönliche Erfahrung mit Gott.
    Als ich gemerkt und irgendwann bewusst wahrgenommen habe, dass ich homosexuell bin, stellte sich nie für mich die Frage, was Gott wohl von mir denken würde.
    Aber ich glaube, ich hatte dennoch einen ähnlichen Konflikt wie du.
    Denn die Frage was richtig und was falsch sei, stellte sich mir trotzdem. Und an dieser Frage ging ich kaputt.
    Dadurch ich mein „Geheimnis“ in der Schule einem Menschen preisgab, der sich im nachhinein als nicht sehr vertrauenswürdig erwies, habe ich eine sehr schlimme Zeit voller Mobbing und Demütigung hinter mir.
    Es ging sogar soweit, dass ich mich mit der Drohung „Ich will lieber tot, als schwul sein“ unter Druck setzte, um diese Tatsache von mir wegzudrängen.
    Zwei jahre vergingen,und ich hatte endlich den Mut mich bei meiner Familie und meinen Freunden zu outen.
    Viel Selbstbewusstsein kam plötzlich mit auf. Das war wahrscheinlich die schwierisgte Entscheidung meines Lebens (bis jetzt natürlich).

    Viel hatte sich verändert… Doch die Angst, vielleicht „zu schwul“ zu sein bzw. zu wirken… oder gar „falsch“ zu sein, lies mich nicht los. Da ich wusste, wie die katholische Kirche generell dazu steht, hielt ich mich auch vom Glauben fern (was eigentlich sehr schade war)… auch wenn ich mich (wie ich jetzt jetzt betrachte) immer nach Gott sehnte.
    Die Selbstzweifel und Ängste wurden nicht kleiner… Ich verstellte mich, versuchte immer allen alles Recht zu machen… Und verlor den Bezug zu mir selbst immer mehr.
    Dann begann ich, zu beten. Nicht für etwas konkretes. Nur für ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass ich nicht allein bin. Einen Wegweiser. Und der kam.
    Aber diese ganze Geschichte möchte ich jetzt nicht aufschreiben… Gott half mir. Er setzte mir Menschen in den Weg, die genau die richtigen Worte auf den Lippen hatten. Für mich waren sie Engel… oder Wunder. Es war kein Zufall. Ich machte eine Therapie, um aus meiner Depression herauszufinden. Und Gott zeigte mir den Weg.
    Ich weiß, dass er für mich da ist. Ich habe ihn gefunden, weil ich diese schwierige Zeit durchgemacht habe.
    Ich habe ihn gefunden, weil ich homosexuell bin. Gott hat mich so gemacht. Das was Schwierigkeiten verursachte, war nicht er. Es waren die Menschen, die nunmal Fehler machen und verletzen. Gott war immer für mich da. ich konnte ihn nur nicht immer hören. Erst, als ich bereit war ihm zuzuhören, in meiner Not… Erst als ich nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war.. wer ich war, nahm ich mir die Zeit, ihm zuzuhören.
    Denn er war die reinste Stimme. Und durch ihn fand ich mich selbst.

    Ich glaube nicht, dass Gott will, dass wir unglücklich sind.
    Im Gegenteil. Er will, dass wir dem Glück immer näher kommen.
    Wie Pflanzen, die zum Licht wachsen.
    Nichts und niemand, das lebt, wächst in die Dunkelheit.
    Es ist aber durchaus sehr schwer zu unterscheiden, was die Menschen und die Gesellschaft uns aufdrücken wollen..
    und was Gott will. Es ist schwer in der Lautstärke die reinste Stimme herauszuhören.
    Doch letzendlich sollten wir immer auf unser Herz hören.
    Denn das ist es, wodurch der Herr mit uns spricht.
    Und durch die Wunder, die er vollbringt.
    Meine Antwort darauf ist klar.. Ich weiß nicht, ob das irgendjemandem helfen sollte.
    Doch ich hatte das Bedürfnis, dies alles zu schrieben.

    Einen schönen Sonntag Abend noch!
    Kevin

  2. Hallo Marc,
    ich hatte dich schon vermisst.
    Da hat sich ja viel bei dir getan.
    Ich möchte dir jetzt von mir mal erzählen:
    Seit fast zwanzig Jahren fühle ich mich als ein DWT und seit fast fünf Jahren Männern hinzugezogen.
    Mein erstes mal mit einem Mann war vor knapp drei Jahren.
    Aufgewachsen in ich in der Landeskirche und gehöre jetzt zu einer FeG.
    Nun,die Landeskirche ist „liberaler“ als manche Freikirche,obwohl da sich auch etwas tut.
    Ab und zu gehe ich in eine MCC-Gemeinde.
    Mit meiner Seelsorgerin und einem MCC-Pastor bin ich schon lange in Kontakt.Jetzt hat meine Seelsorgerin mit meinem Pastor in meinem Namen Kontakt aufgenommen.Zu unserem Erstaunen verlief es super und er möchte mit mir und meiner Seelsorgerin einmal auch einen MCC-Gottesdienst besuchen
    Vorher hatte ich aber mit meiner Tochter mein Outing,wo mich meine Seelsorgerin gut unterstützte.Das Gespräch war sehr in Ordnung und jetzt versteht sie mich besser.
    Demnächst habe ich mein erstes Gespräch mit meinem Pastor,an dem auch meine Seelsorgerin teilnimmt.
    Es tut sich was auch in der Deutschen Evangelischen Allianz und deren Werken.
    Sehe folgenden Artikel :http://www.idea.de/politik/detail/streit-um-sexuelle-vielfalt-weisses-kreuz-gibt-orientierung-90265.html
    Beachtenswert ist der Absatz:
    “ Es komme darauf an, Diskriminierung abzubauen und Schülern klarzumachen, dass „Schwule und Lesben keine Menschen zweiter Klasse sind und dasselbe Recht auf eine gelingende Partnerschaft haben“.
    Ich habe schon viel erlebt mit meinem HERRN,besonders dann wenn ich selber in Zweifel war.
    Letzten Dienstag zappte ich im Fernsehen und schaltete das Erste ein und da war die Serie „Um Himmels Willen“ mit der Nonne und dem Bürgermeister und am Ende ging es um den Homosexuellen Pfarrer und sein Bekenntnis vor der Gemeinde zu seinem „schwulen“ Freund,mit dem er im Pfarrhaus leben möchte.Das war für mich wie ein Zeichen von Gott.
    Ich wünsche dir weiterhin viel Freude im Worte Gottes und das eine Beziehung zu einem Mann finden möchtest,die dich ausfüllt und nicht Last ist und mit dem du auch gemeinsam an Jesus Christus glauben kannst.
    Das du einen Wunsch nach einem Partner hast ist etwas natürliches und vielleicht schenkt es dir Gott.Mach es zu einem Gebetsanliegen.
    Petrus sagt ja :“Alle eure Sorge werft auf IHN,denn ER sorgt für euch!“
    Irgendwann,so der HERR will,ist mein Outing vor der Gemeindeleitung und irgendwann (?) vor der Gemeinde.Mein Pastor und die Gemeindeleitung werden an die Schweigepflicht gebunden.
    Wahre Freunde,besonders auch in der Gemeinde,verlassen einen nicht,das kannst du mir glauben.Ansonsten sind es keine Freunde.
    Sei lieb gegrüßt.Ich denke an dich im Gebet.

  3. Lieber Marc, lieber Kevin,
    für Eure Beiträge bin ich sehr dankbar! Das Bild der Sandburg, die langsam zerbröselt, finde ich treffend. Ich bin von Kindesbeinen an in der Kirche aufgewachsen und in meinen inzwischen fast 47 Lebensjahren ist so manches in meinem Kirchen- und Gottesbild wie eine Sandburg zerbröselt. Und das war auch gut so. Das Wesentliche liegt manchmal unter dem schön glatt gestrichenen Sand verborgen. Und so schön die Burg auch aussieht: Sie ist nicht das, worum es geht. Aber so schön sich das vielleicht anhört: Ein neues Gottesbild kann man sich nicht machen. (Das wäre dann die nächste Sandburg…) Es kann nur von Gott her kommen.
    Sehr bewegt haben mich auch die Zeilen von Dir, Kevin, in denen Du beschreibst, wie Du über Dein Schwulsein zu einer Gottesbeziehung gefunden hast. Danke für Deine Zeilen!
    Vor ein paar Tagen habe ich auf youtube einen Beitrag gefunden, der mir sehr gut getan hat. Von Siegfried Zimmer über die schwule Frage. Ein Vortrag von 1 1/2 Stunden, den ich schon dreimal angehört habe. Für mich eine echte Lebenshilfe und Stärkung. Vielleicht tut Euch das Hören des Beitrages auch gut. Mir ist dabei so manches Licht aufgegangen.
    Liebe Grüße!
    Christian

  4. Hallo lieber Marc Ich lese gerade Deinen Artikel Sandburg. Ich verstehe Dich gut…eben gerade ist ein Buch auf Deutsch erschienen, welches ich selber übersetzt habe, weil es meiner Ansicht nach nichts auf dem deutschsprachigen Büchermarkt gibt. Es heisst „Echt Schwul – Echt Christ – Mein Ringen um Wahrheit“ von Jeremy Marks. Gerne würde ich sonst mit Dir mal reden, schreiben, skypen etc…denn ich kenne das Dilemma gut.
    „Mit dieser Mail möchte ich Sie auf eine Neuerscheinung auf dem Büchermarkt aufmerksam machen. Soeben ist das Buch „Echt-Schwul – Echt-Christ – Mein Ringen um Wahrheit“ von Jeremy Marks auf Deutsch erschienen. Es handelt sich hier um ein eindrückliches Tagebuch seiner Reise, wo er das Versagen der Programme der Veränderung oder der Unterdrückung der persönlichen sexuellen Identität sowie die geistliche, finanzielle, mentale und emotionale Verwüstung anprangert, die solche Programme verursachen können. Für diejenigen, die wirklich den Kampf von schwulen Christen verstehen möchten, werden von diesem Reisebericht fasziniert sein“.
    Ich freue mich auf Deine Reaktion.
    Lieber Gruss
    Roland

  5. Hallo du,

    auch wenn ich es nicht genau weiß, denn ich bin auch auf der Suche, so glaube ich doch, dass Gott deine Fragen sieht, deine Sehnsucht, deinen Mut, ehrlich zu sein, deinen Wunsch, Ihn zu erkennen / zu verstehen, mit Ihm gern leben zu wollen….

    Worum es in diesem Leben geht? Unter anderem darum: Den Mut zu haben, Masken fallen zu lassen, denn nur so können Beziehungen entstehen, kann Nähe entstehen, kann Liebe gelebt werden. Du hast diesen Mut – dafür möchte ich dir danken! Wir haben alle unsere Kämpfe, sind alle in Prozessen – und dabei oft so allein, weil wir uns nicht trauen, sie anderen mitzuteilen. Du hast es getan bzw. bist dabei – und trägst dadurch dazu bei, dass die Welt ein bisschen wärmer wird. Das tut gut – das tut mir gut (und wahrscheinlich nicht nur mir).

    Gott hat das Schwache erwählt (s. 1. Kor 1.27)… ich verstehe das nicht und mag das auch nicht – aber es ist seine Entscheidung… und deshalb liebt Er dich auch so, wie du bist. Und es ist gut so, dass du bist, und dass du so bist, wie du bist!

    Liebe Grüße, Gaby

  6. Hallo Marc,
    ein Gedanke, der mir beim Thema ,Der Kluge baut sein Haus auf Felsengrund‘ einfällt: wir haben von klein auf gelernt, auf welches Fundament wir unser Lebens- und Glaubenshaus bauen sollen. Das haben wir verinnerlicht und uns klar positioniert. Aber niemand hat uns erklärt, WAS wir darauf bauen sollen. Als mein frommes Kartenhaus zusammenfiel, lag das nicht an dem Fundament. Das ist geblieben. Jetzt aber hab ich die Chance, etwas Neues zu bauen und die Baumaterialien zu überprüfen. Ja, es ist schmerzhaft, wenn alles zusammenfällt und man vor lauter Scherben steht. Aber es ist eine wichtige Erfahrung, die jeder Mensch machen sollte. Suchen und Fragen gehören zum Leben dazu.

    Baue dein Haus! Es ist DEIN Haus. Lass dir Zeit bei der Planung. Und fang nicht bei der Inneneinrichtung an :-)

    LG, Marcel

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